Samstag, 5. April 2008

Pro und Contra der Behandlung mit Antidepressiva

02.04.2008 Im Mittelpunkt des 2. Hauptstadtsymposiums der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) zum Thema Volkskrankheit Depression: Pro und Contra der Behandlung mit Antidepressiva standen ganz grundsätzliche Fragen der Therapie von depressiven Erkrankungen im Spannungsfeld von wissenschaftlichen Studien, evidenzbasierten Leitlinienempfehlungen, wirtschaftlichen Restriktionen und therapeutischer Entscheidungsfreiheit des behandelnden Arztes: Wie wirksam ist die Pharmakotherapie mit SSRI, den Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern wirklich? Oder: Wie groß ist der Placebo-Effekt und welche Bedeutung hat dabei die Beziehung Arzt-Patient?

Antidepressiva in der Kritik
Die Behandlung von schweren Depressionen erfordert neben der psychotherapeutischen Behandlung gerade in der Akutphase auch eine pharmakologische Therapie mit Antidepressiva. Zur Wahl stehen heute neben den "trizyklischen Antidepressiva" auch die SSRI. Diese Präparate erhöhen die Konzentration des Botenstoffs Serotonin im zentralen Nervensystem, genauer: in den Synapsenspalten zwischen den Nervenzellen. Obwohl die Wirksamkeit von Antidepressiva bei der Behandlung akuter depressiver Episoden in zahlreichen klinischen Studien belegt ist, wird von Zeit zu Zeit immer wieder eine Debatte über die Wirksamkeit dieser Pharmaka geführt. So zuletzt etwa ausgelöst durch eine Studie von Irving Kirsch (Hull, Großbritannien). Darin wurde die Wirksamkeit der antidepressiven Pharmakotherapie angezweifelt. Im Mittelpunkt stand der Vorwurf, Antidepressiva grenzten sich in der Wirksamkeit nicht in klinisch relevantem Maße von Placebo ab. Dies ist ein massiver Vorwurf, weil damit die Effektivität der pharmakologischen Therapie von Depressionen pauschal in Abrede gestellt wird.

Die DGPPN weist nochmals mit Nachdruck auf die zahlreichen Studien hin, die belegen, dass die Wirksamkeit eines Antidepressivums sich desto ausgeprägter von Placebo abgrenzt, je schwerer die Depression der untersuchten Patienten ist. Zudem ist seit langem bekannt: Placebo wirkt desto weniger, je schwerer die Depression ist. Mit diesen Fakten wird die Wirksamkeit von Antidepressiva insbesondere bei schwerer Betroffenen bestätigt. Entschieden widerspricht die DGPPN daher der Lesart in manchen Medien, selbst bei schweren depressiven Erkrankungen erzielten Antidepressiva keine klinische Wirkung im Sinne eines Nutzens für die Patienten, da der Unterschied zwischen den berücksichtigten Antidepressiva und Placebo so gering sei, dass es kaum Gründe gebe, diese Medikamente weiter zu verordnen. Allein vor dem Hintergrund der Suizidgefahr, die für viele Betroffene mit einer Depression einhergeht, ist für die DGPPN die Option einer Therapie mit Antidepressiva unverzichtbar.

Für die DGPPN stellt der Präsident, Professor Dr. med. Wolfgang Gaebel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die Frage, ob in Studien gemessene mittlere Besserungsraten tatsächlich ein geeignetes Maß für die klinische Relevanz im Sinne eines Patientennutzens darstellen. "Den einzelnen Patienten interessiert doch", so Gaebel, "welche Wahrscheinlichkeit ihm geboten wird, sich in einer Zeit von etwa sechs Wochen wieder gesund zu fühlen. Hier liegt der Unterschied zwischen einem Antidepressivum und Placebo typischerweise bei zehn bis 20 Prozent. Das bedeutet, es müssen fünf bis zehn Patienten mit dem Antidepressivum behandelt werden, um eine spezifisch dem Antidepressivum zuzuschreibende signifikante Besserung zu erzielen. Im Vergleich zu vielen anderen medizinischen Interventionen bedeutet dies eine beachtliche Wirksamkeit. Deshalb kann man im Interesse der betroffenen Patientinnen und Patienten nicht auf die Pharmakotherapie bei Depressionen verzichten." Für den Präsidenten der DGPPN, Professor Gaebel, bleibt es trotz aller Diskussionen um die Wirksamkeit von Antidepressiva selbstverständlich, dass in jedem Einzelfall die Indikation zur Behandlung mit einem Antidepressivum sorgfältig abzuwägen ist. Letzten Endes entscheidet der oder die Betroffene nach umfassender ärztlicher Aufklärung, welche der möglichen Therapieformen unter Einschluss von Psychotherapie gewählt wird.

Volkskrankheit Depression
Nach Angaben des Bundes-Gesundheitssurveys aus dem Jahre 1998 leiden in einem Jahr in Deutschland knapp sechs Millionen Menschen an einer Depression. Experten gehen davon aus, dass etwa 17 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression erkranken, wobei Frauen ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko aufweisen wie Männer. Obwohl man Depressionen sehr gut medizinisch behandeln kann - die Erfolgsrate bei Anwendung rechtzeitiger, zielgerichteter und wissenschaftlich validierter Therapieverfahren liegt bei 70 bis 80 Prozent -, werden bei uns immer noch weniger als die Hälfte aller Betroffenen adäquat behandelt. Dies bedeutet, dass die Gefahr der Entstehung eines therapieresistenten depressiven Syndroms sehr groß ist. Ferner ist in diesem Zusammenhang auch auf die relativ große Gefahr von Suiziden hinzuweisen. Depressionen stellen mit 50 Prozent die häufigste Ursache aller Selbsttötungen dar: Zwischen fünf und 15 von Hundert der Patienten mit wiederkehrenden depressiven Erkrankungen sterben auf diese Art. Deshalb hat die DGPPN als älteste und größte wissenschaftliche Vereinigung und Interessenvertretung von Ärztinnen und Ärzten sowie anderen akademischen Berufsgrupppen, die in Deutschland auf den Gebieten Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde arbeiten, wiederholt eine bessere Versorgung von psychisch Kranken gefordert, insbesondere von Menschen mit schweren und chronischen psychischen Erkrankungen. Obwohl wir in Deutschland eine große Anzahl von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten zur Versorgung von i.d.R. leichter Erkrankten haben, fehlen niedergelassene Fachärztinnen und -ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, um die pharmako-, sozio- und psychotherapeutische Komplexversorgung von Betroffenen mit schweren und chronischen psychischen Erkrankungen zu gewährleisten. Besonders gravierend ist die Lage in den neuen Bundesländern. Dort muss ein Nervenarzt etwa 27.000 Einwohner versorgen. Nach Auffassung der DGPPN ist damit eine flächendeckende psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet. Denn um eine ausreichende Versorgungssituation zu schaffen, benötigt man mindestens einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie auf 6.000 Einwohner.

Quelle informationsdienst Wissenschaft idw

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