Montag, 15. Februar 2010

Psychologe: Karneval ist Rollenspiel nach Regeln

Bild:fotolia-lovrencg Ein Interview von Deutschlandradio Kultur:
Der Karneval ermöglicht Menschen, sich in einer anderen Rolle zu erleben und auszuprobieren, glaubt der Kölner Psychologe Wolfgang Oelsner. Zu Karneval könne man Unsinn machen, ohne sich vor den Konsequenzen zu fürchten. Wichtig sei aber, dass das närrische Treiben durch das Brauchtum reglementiert sei und somit Grenzen gesetzt werden.


Von Billerbeck: Die einen machen eine Paartherapie, um ihr Ehe- und Sexualleben wieder irgendwie in den Griff zu bekommen, die anderen gehen zum Karneval. In zwei Stunden beginnt in Köln der Rosenmontagszug und das ist für viele mehr als ein bloßes Kostümfest. Der Karneval ersetzt mühelos ein Beziehungsseminar, das sagt der Psychologe und Therapeut Wolfgang Oelsner und er hat auch ein Buch darüber geschrieben, warum Menschen den Karneval brauchen. Und mit ihm sprechen wir jetzt natürlich in der Karnevalshochburg Köln. Tag, Herr Oelsner.

Oelsner: Ja, guten Morgen und ein herzliches Alaaf!

Von Billerbeck: "Karneval ist ein Fest, bei dem erwachsene Menschen sich verkleiden und dann aus Scham darüber betrinken und dadurch wird es irgendwann lustig". Das hat Peter Richter gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben. Verkleiden Sie sich auch?

Oelsner: Ja, man geht als Kölner nicht ungeschminkt und nicht unverkleidet zum Zoch, das passt nicht, da würde man also auffallen, man wäre ein Exot.

Von Billerbeck: Als was gehen Sie denn?

Oelsner: Das kommt aufs Wetter an und meine Sehnsucht, eine andere Rolle zu spielen, die habe ich in vielen anderen Karnevalscampagnensessionen, wie man das hier nennt, schon ausleben können - was Zweckmäßiges, einen blauen Tünneskittel drüber, wo drunter viel passt, viel warme Pullover, vor allem heute.

Von Billerbeck: Saufen, schunkeln, fremdgehen, das assoziieren karnevalsfreie Bundesländerbewohner mit dem Begriff Karneval. Verzeihen Sie einer Preußin die Frage: Warum brauchen wir den Karneval?

Oelsner: Na ja, wenn wir mal diese negativen Dinge mal beiseite lassen, da können wir gerne noch drauf zu sprechen kommen, aber dieses Fest ermöglicht es uns Menschen, dass wir uns anders erleben können, uns und auch unsere Mitwelt. In einer anderen Rolle kann ich der Welt anders begegnen, vor allem ohne diese Sorge um die Verantwortung vor all dem, was ich sage. Alles, was ich sonst mache, ist ja eins zu eins mit realistischen Konsequenzen behaftet. Heute - es genügt eine Pappnase aufzusetzen, kann ich Unsinn machen und kann ganz andere Facetten in mir und bei meinen Mitmenschen mal herauskitzeln und auch mal erproben.

Von Billerbeck: Das klappt ja nur, wenn die anderen auch eine Pappnase aufhaben, also wenn ich mir hier in Berlin, von wo wir senden, eine Pappnase aufsetzen würde, dann würden wahrscheinlich meine Mitmenschen sich kurz an die Stirn tippen und ansonsten weitergehen. Warum ist das bei Ihnen anders?

Oelsner: Ja, genau, es ist das Phänomen der Masse. Karneval ist ein Fest aus der Gemeinschaft, also sich ein Clownskostüm überzustülpen und dann vor dem Fernsehen auf dem Sofa alleine "Mainz bleibt Mainz" anzuschauen, das ist eher krank, aber nicht lustig. Nein, das Kostüm, die Maske verlangt die Gemeinschaft, man will sich ja erproben in der Gemeinschaft, am Du, will die Reaktion austesten, will gucken, wie weit kann man gehen, verändert sich der Andere.

Und Sie werden es kaum glauben, wenn Sie jetzt in Köln wären, wären ungeschminkt am Straßenrand, stünden dort so als die preußische Journalistin, als die Sie sich gerade genannt haben, dann käme innerhalb von einer halben Stunde irgend jemand auf Sie zu, hakt Sie ein, schunkelt mit Ihnen, malt Ihnen vielleicht ein Herz auf die Wange, und was jetzt Ihnen vielleicht sehr komisch vorkommen mag, dass Sie sagen, um Himmels Willen, da fasst mich ein wildfremder Mensch an, in der Gemeinschaft, dort, wenn es nach diesen bestimmten Regeln auch läuft, kann das sogar schön sein und eine bestimmte Schwelle einen überwinden helfen.

Von Billerbeck: Sie haben es schon erwähnt, das Wort Regeln. Braucht dann auch so ein Ausraster vom Alltag wie der Karneval Regeln?

Oelsner: Ja, aber natürlich! Schauen Sie, Karneval ist ein Fest, in dem liegen die Emotionen frei, man kann sogar sagen, die Triebe, also die Affekte liegen bloß. Das ist wie beim Fußball, beim Sport, da werden Emotionen geweckt und das ist auch wichtig, weil es alles Facetten sind, die zu unserem Menschsein dazugehören und die wir kennenlernen müssen, sei es, um sie zu bewältigen. Aber diese rauszulassen, nur ohne Regelwerk, das kann nicht gut gehen, das endet im Siff, in der Trunkenheit, in der Anarchie. Es braucht, wenn man so sagen will, diese Fliehkräfte der Triebwelt brauchen eine Zentripetalkraft, eine bindende Kraft und das sind die Regeln, die ja unimmanenten und ungeschriebenen Regeln des Brauchtums, die auch, wenn man mit dem Fest groß geworden ist, von den Karnevalisten auch eingehalten werden.

Von Billerbeck: Sie haben das Wort Triebe schon erwähnt. Wie regelt man denn das in einer Beziehung? Also so lange der Karneval läuft, kannst du machen was du willst, aber wie kehrt man dann danach wieder aufs normale Maß zurück?

Oelsner: Nein, das sagt man ja auch nicht, das wird oft so wahrgenommen und das ist leider auch so das, was den Karneval in Misskredit bringt. Das ist ähnlich, als wenn Sie sagen würden, Fußball besteht aus Hooligans, die prügelnd und saufend durch die Straßen ziehen. Das gibt es leider, und es wäre töricht, das zu leugnen, aber Karneval ist viel mehr. Es ist ein Fest, in dem man die Regeln kennt, und…

Ich will ein Beispiel nennen. Wir haben ja in Köln einen Witz, der heißt dann so: Wenn die Leidenschaft zur Tür herein kommt, dann springt der Verstand aus dem Fenster. Aber Jung', pass auf, am nächsten Morgen klingelt es an der Türe und der Verstand will wieder rein, rechne damit. Das heißt, oder ein anders Bild, was in dieser Session gebraucht wurde, Willibald Pauels nennt es dann, der Büttenredner: Seitensprung ist nur als Anlauf gestattet, gesprungen wird zu Hause; oder, Appetit holen ja, aber gegessen wird zu Hause.

Das sind solche Metaphern, in denen man klar macht, ein Flirt, okay, auch sich mal erproben, auch mal ein Lächeln bei anderen Menschen, die man sich vielleicht sonst nicht so traut anzusprechen, aber das muss nicht im Bett enden. Das es dennoch geschieht, das ist etwas, es kommt erstens viel seltener vor, als es unterstellt wird, und zweitens oft bei den Menschen, die als, ich will jetzt nicht die Touristen damit beschimpfen, aber die ohne Gespür für dieses Regelwerk und ohne Bindung an das, was man hier so damit verbindet, das einfach mal so probieren und überrumpelt werden. Das kann passieren.

Von Billerbeck: Also die quasi ohne Sinn und Verstand Karneval feiern. Wie ist es denn nun mit der therapeutischen Wirkung für eine Beziehung, wenn man sich so eine Auszeit wie den Karneval gestattet?

Oelsner: Ach, dieses Zitat von mir, das lautet eigentlich anders, es ersetzt nicht eine Beziehungstherapie, um Himmels Willen, die braucht es nach wie vor, aber es hilft manchmal, dass es gar nicht dazu kommen muss, weil man ausloten kann Facetten in sich selber, auch in der Beziehung, die man sonst so nicht kennt. Wir laufen ja nach bestimmten Mustern durch die Welt und es haben sich bestimmte Rollen eingeschliffen und diese andere Welt, die lebt im Urlaub gelegentlich auf. Da erleben Paare sich ja auch anders, deswegen knallt es ja auch manchmal im Urlaub oder es knallt mit Freunden, mit denen man gemeinsam in den Urlaub fährt, man lernt sich anders kennen und es ist ja wichtig, diese Facetten in das Leben hineinzuholen, die nicht dauernd nur zu verdrängen, dann können sie krankmachend sein. Aber sie immer nur rauszulassen, das ist in der Tat auch krank. Das heißt also, man öffnet mal die Türe so einen Spalt und guckt mal, wie es auch ist und geht dann damit um. Manchmal hält es ja auch über den Aschermittwoch hinaus.

Von Billerbeck: Wenn aber nur ein Viertel, so hatte ich es am Anfang gesagt, der Deutschen Karneval feiert, das heißt ja, das Dreiviertel nicht feiern. Warum ist der Karneval eigentlich medial so präsent? Man kann ihm eigentlich in den Wochen davor gar nicht entgehen.

Oelsner: Ja, das könnte auch sein Tod eines Tages bedeuten. Der ist ja nun deutlich medial überpräsent. Karneval ist nichts zum Konsumieren, Karneval ist etwas zum Gestalten, zum Feiern und wer ein Fest gestaltet, weiß auch, dass es Vorbereitung kostet und damit auch Mühe und Anstrengung. Vor der Lust liegt immer die Anstrengung. Und das will dieses Fest als Volksfest, als im Brauchtum verankertes Fest, auch vermitteln. Dass es medial so rüberkommt, nur mit den Highlights, das könnte in der Tat ein Todesstoß für das Fest mal werden und es gibt ja viele Bemühungen auch schon, da runterzufahren, das Ganze auch irgendwie zu entschleunigen.

Secondhand Karneval bringt gar nichts. Es ist mal ganz lustig, das zu sehen, wie die das so machen, ich gucke mir das auch aus anderen Regionen am Fernsehen an, wie schön.

Wichtig ist für mich, dass ich sehe, es gibt einen Archetypus, einen Archetypus von Sehnsucht der Menschen, gelegentlich wie die Kinder sich noch mal zu benehmen, ohne Scham zu empfinden. Also die Psychologen würden sagen, zu regredieren auf eine frühere Entwicklungsstufe, aber nicht in Gänze und nicht für alle Zeit, sondern für eine bestimmte Phase und dann singen wir Lieder mit was weiß ich, hörst du die Regenwürmer husten, oder mit Ballaballa oder Humtatätärä, solche lautmalenden Worte, das sind Ausflüge in die Kinderzeit, kleine Urlaube, die der Kulturbürger immer braucht, auch wenn er nicht im Rheinland lebt, die haben andere Rituale und andere Spielregeln dafür.

Wenn Sie es hören wollen: Es gibt im Norddeutschen einen Klub der Präriefreunde und dort begeht man unter dem Vorwand ethnologischer Studien eigentlich Cowboy- und Indianerspiele und hat dort seine kleine regressive Spielwiese und dieses Fest hier im Rheinland, im Brauchtum ritualisiert, gibt uns eine Spielwiese, damit umzugehen, aber unter einem bestimmten Regelwerk. Ich kann das nicht oft genug betonen: Triebe nur rauszulassen, ohne Regelwerk, endet im Siff und im Chaos, das braucht Zeit dafür.

Von Billerbeck: Sie sind ja auch Kinderpsychologe, Sie haben schon eben erwähnt, dass Erwachsene während des Karnevals zum Kind werden auf eine bestimmte Weise. Wie erleben denn Kinder diesen Karneval, diese Auszeit von den Regeln des normalen Alltags?

Oelsner: Ja, sehr zwiespältig, sehr ambivalent. Manchmal ängstigt das die Kinder. Es ist ja ein Phänomen, dass Kinder, die im Kostüm fotografiert werden, oft sehr ernst in die Kamera schauen. Kinder, wenn sie gesund groß werden, brauchen das eigentlich nicht. Sie brauchen nicht diese Flucht aus dem Alltag. Ein Kind, nehmen wir mal ein Kindergartenkind, darf doch alle 20 Minuten sagen, ich wäre jetzt mal der, du wärst mal der. Dieses So-tun-als-ob, Theater noch als Spiel in das Leben zu integrieren, das dürfen Kinder.

Was Kinder aber am Fest lernen können und das ist das Schöne, dass sie auch damit groß werden, in den Schulen hier, dass sie in ein Brauchtum hineinwachsen, das ist bei uns nun mal der Karneval, das ist in anderen Regionen was anderes, aber zu spüren, übergreifend gibt es ein Phänomen, wo alle mitmachen, das ist für Kinder auch schön da reinzuwachsen. Es gibt auch so ein Stückchen Verwurzelung.




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