Montag, 31. Dezember 2012

Nachhaltigkeit

Dezember 2012

"Nachhaltiger Konsum ist ein Trend mit Wachstumschancen" Ein Interview mit Lucia Reisch.

Lucia Reisch ist Professorin für interkulturelles Konsumentenverhalten und Verbraucherpolitik an der Copenhagen Business School sowie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung. Im Interview mit bmbf-online verrät sie, warum die Kommunikation für nachhaltigen Konsum von kommerziellem Marketing lernen sollte, und wie einfach es ist, nachhaltig zu schenken. bmbf-online: Frau Professor Reisch, Sie erforschen und lehren Konsumverhalten und Verbraucherpolitik. Nachhaltigkeit ist zu Weihnachten ein vieldiskutiertes Thema. Nachhaltig schenken - geht das?

Professor Dr. Lucia A. Reisch©Rat für Nachhaltige EntwicklungReisch: Aber unbedingt. Schauen Sie mal in den sozialen Netzwerken für strategischen Konsum, da gibt es jeden Tag schöne und nützliche Beispiele. Ich kenne auch einige Familien, die der Kommerzialisierung bewusst entgegentreten und ein Geschenkemoratorium ausgerufen haben - Kinder ausgenommen, natürlich - und statt dessen mit einer größeren Spende gezielt soziale oder Umweltprojekte unterstützen. Ein in mehrfacher Hinsicht sehr nachhaltiges Geschenk ist sicherlich auch eine ethisch-ökologische Sparanlage für Kinder und Jugendliche bei einer Kirchen- oder Umweltbank. In Fachzeitschriften, wie "Finanztest", kann man nachlesen, was sich für welche Sparziele eignet. Und nach wie vor ist das schönste Geschenk Hinwendung und Zeit - verpackt in Selbstgemachtes oder eine gemeinsame Unternehmung.

bmbf-online: Haben wir in Deutschland in den vergangenen Jahren gelernt, nachhaltiger zu konsumieren?

Reisch: Wenn man den Markt betrachtet, dann sehen wir eine Zunahme bei fair gehandelten und vor allem bei regionalen Nahrungsmitteln, eine trotz Finanzkrise stabile Nachfrage an Bio-Lebensmitteln, eine steigende Nachfrage nach ethisch-ökologischen Geldanlagen, nachhaltiger Mode, sanftem Tourismus und Ähnlichem. Nachhaltiger Konsum ist ein Trend mit Wachstumschancen, aber überwiegend noch nicht massentauglich. Interessant ist aber, dass dieser Trend auch die konventionellen Produkte beeinflusst - deren Design, Rezepturen und Transparenzanforderungen.

bmbf-online: Aber ist Konsum nicht noch mehr?

Reisch: Richtig. Konsum ist nicht nur der Akt des Kaufens, sondern umfasst die ganze Kette von Bedürfnis- und Bedarfsreflexion. Dazu gehört auch das Nichtkaufen, Selbermachen, Tauschen, Teilen und das gemeinsame Nutzen. Konsum ist auch Eigenproduktion, denken wir an die neue Lust am Gärtnern - das "Urban Gardening" -, den Spaß am gemeinsam Kochen und Designen, Reparieren oder auch die neue Begeisterung für genossenschaftliche Energieproduktion. Immer mehr Menschen machen auch Politik mit dem Geldbeutel: Sie organisieren sich beispielsweise in Flashmobs und bestrafen oder belohnen das Verhalten von Unternehmen. Die Macht dieser Konsumentenbürger ist heute deutlich grösser als in vor-virtuellen Zeiten. In der digitalen Gesellschaft ist Unternehmensgebaren viel transparenter.

bmbf-online: Und im Vergleich der Kulturen: Gibt es da Unterschiede in Europa?

Reisch: Die gibt es. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Biolebensmitteln beispielsweise ist in Dänemark, Österreich und der Schweiz deutlich höher als in anderen Ländern. Dies hat aber weniger mit der Kultur zu tun als mit Marktstrukturen, Subventionen von Branchen und Sektoren und glaubwürdigen staatlichen Bio-Siegeln. Wichtig ist auch die Rolle der Industrie: Wenn beispielsweise in einem Land die Textilwirtschaft und das Modedesign wirtschaftlich eine große Rolle spielen wie in Schweden, dann wird dieser Markt auch von Unternehmen mehr gefördert und es gibt mehr und attraktivere Angebote als in anderen Ländern. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten sind die Europäer insgesamt deutlich mehr an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen interessiert.

bmbf-online: Menschen treffen täglich Konsumentscheidungen und handeln dabei meist nicht rational. Welche Rolle spielen Emotionen beim Einkauf?

Reisch: Motivation zum Handeln ist immer auch emotional, so sind wir Menschen gestrickt. Die Neuroökonomie hat das wunderbar empirisch gezeigt. Wir reagieren auf Belohnungen und Bestrafungen, vor allem auf soziale Ausgrenzung. Zudem entwickeln wir emotionale Beziehungen zu Marken und erleichtern damit unsere Kaufentscheidungen. Insofern ist zum Beispiel der Markenkauf eine sehr sinnvolle, da energie- und zeitsparende Strategie der menschlichen Psyche. Die Kommunikation für nachhaltigen Konsum kann da noch viel vom kommerziellen Marketing lernen. Über Vernunftargumente werden nur wenige Konsumenten erreichbar sein. Und gegen soziale Normen - das umfasst auch Moden und Lebensstile - lässt sich kaum eine Verhaltensänderung durchsetzen.

bmbf-online: Wäre es nicht einfacher, schlicht weniger zu konsumieren?

Reisch: Natürlich. Wir nennen das die Suffizienzstrategie, also: Weniger ist mehr. Allerdings wird sie eher Sache einer Minderheit bleiben oder sich auf einzelne Produkte begrenzen: Kein Fleisch mehr, kein Palmöl, keine großen Autos, weniger und langlebige Kleidung. Das eigentliche Problem dabei: Suffizienz wird wenig diskutiert weil weniger Konsum unter den Bedingungen des heutigen Wirtschaftssystems auch weniger Wachstum bedeutet. Richtig wäre die Suffizienzstrategie natürlich. Und möglich auch, wenn man gleich die Rahmenbedingungen und Wirtschaftsstrukturen mit verändert.

bmbf-online: Also ist gesellschaftliches Wohlbefinden nicht an Wirtschaftswachstum gekoppelt?

Reisch: Wenn Sie Wohlfahrt, Zufriedenheit und postmateriellen Wohlstand meinen, dann eben nur bis zu einem gewissen Punkt. Wohlstand umfasst ja auch Zeitwohlstand, gesunde Umwelt, Lebensqualität. Ab einem gewissen materiellen Niveau, das in etwa der Mittelklasse der heutigen Konsumgesellschaften entspricht, scheint zusätzliches persönliches Einkommenswachstum nicht oder kaum noch zur Lebensqualität beizutragen. Dies hängt vor allem mit zwei Dingen zusammen: Zum einen verwenden die allermeisten Menschen ein relatives Wohlstandskonzept. Es ist wichtiger, wo in der Wohlstandspyramide einer Gesellschaft man steht als wie viel man absolut hat. Zum anderen tritt ab einem gewissen Einkommen das Materielle in Zeit- und Aufmerksamkeitskonkurrenz zu anderen erfüllenden Aktivitäten. Und diese sind laut Glücksforschung genau diejenigen, die uns nicht nur zufrieden, sondern glücklich machen.

bmbf-online: Sie sind Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung. Seine Aufgabe ist es, die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zu begleiten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert in einem umfassenden Rahmenprogramm die Forschung für nachhaltige Entwicklungen (FONA) und hat auch sein "Wissenschaftsjahr 2012" der Nachhaltigkeit gewidmet. Warum sind diese Projekte und Fördermaßnahmen so wichtig?

Reisch: Die Probleme drängen und die Menschen stellen die sie bedrängenden Fragen: Kann man den Klimawandel noch stoppen? Wieso geht es mit der Energiewende nur langsam voran? Welche Möglichkeiten haben Konsumenten? Wie kommuniziere ich meinen Kunden nachhaltigere Angebote? Deutschland ist weltweit ein Spitzenreiter in Sachen Umwelt- und Energie. Spätestens seit der Energiewende schaut die Welt auf uns. Dies bedeutet auch eine besondere Verantwortung für die Wissenschaft.

Quelle Bundesministerium für Bildung und Forschung

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