Sonntag, 12. Februar 2012

Bundesforschungsministerin Schavan zum Thema Demenz

Mehr als 1,3 Millionen Deutsche sind an Demenz erkrankt; zwei Drittel von ihnen leiden unter Alzheimer. Neurodegenerative Erkrankungen sind für die Patienten und ihre Angehörigen eine schwere Bürde. Die Neurowissenschaft weiß inzwischen, was bei Demenz im Gehirn passiert und versucht möglichst genau zu klären, welche molekularen Prozesse letztlich den Zelltod bei degenerativen Erkrankungen verursachen. Das könnte helfen, die Krankheit früh zu diagnostizieren - und eine frühe Diagnose wiederum ist eine Voraussetzung für präventive Behandlungen, die das Absterben der Nervenzellen künftig möglicherweise verhindern könnten. Aber: Alzheimer ist bis heute nicht heilbar, es gibt auch keine wirksame Prävention, auch wenn Bewegungsmangel offenbar ein Risikofaktor ist.


Interview mit Bundesforschungsministerin Annette Schavan über die Demenzforschung in Deutschland

Frage: Frau Schavan, mehr als 1,3 Millionen Deutsche sind an Demenz erkrankt, zwei Drittel von ihnen leiden unter Alzheimer. Was genau ist das eigentlich?

Schavan: Alzheimer ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der langsam fortschreitend Nervenzellen im Gehirn absterben. Es gibt verschiedene Demenz-Erkrankungen, Alzheimer ist die häufigste davon. Die Symptome sind schwerwiegend: Die kognitiven Fähigkeiten der Patienten lassen schrittweise nach. Zunächst suchen die Kranken vielleicht nur nach dem richtigen Wort, dann sind sie mehr und mehr verwirrt, Orientierungs- und Erinnerungsvermögen werden weniger. Es ist ein ständiger Kampf gegen das Vergessen. Das Verhalten dementer Menschen kann sich so verändern, dass Angehörige gar nicht mehr glauben mögen, dass sie es mit ein und derselben geliebten Person zu tun haben. Ihre Pflege kann sehr traurig und frustrierend sein.

Frage: Das Schicksal des erkrankten Fußballmanagers Rudi Assauer erschüttert viele. Gibt es immer mehr Kranke?

Schavan: Die Zahl der Neuerkrankungen liegt bei rund 200.000 pro Jahr. Und durch den demografischen Wandel verschärft sich die Situation: Die Menschen werden bekanntlich immer älter. Wenn es uns nicht bald gelingt, neue Präventionsmaßnahmen und Therapieverfahren zu entwickeln, wird sich die Zahl der Kranken weiter erhöhen. Dann ist nicht ausgeschlossen, dass im Jahr 2040 2,5 Millionen Menschen in Deutschland demenzkrank sind. Fast die Hälfte davon würde auf intensivste Betreuung und Pflege angewiesen sein. Wir müssen uns also beeilen. Denn Alzheimer und Parkinson, die andere große neurodegenerative Erkrankung, sind nicht nur für die Patienten und ihre Angehörigen eine schwere Bürde, sie belasten die gesamte Gesellschaft.

Frage: Wie weit ist die Forschung?

Schavan: Die Gesundheitsforschung ist ein Schwerpunkt unserer Politik. Was bei Demenz im Gehirn passiert, wissen wir inzwischen relativ gut. Aber unklar ist, warum es passiert. Die Neurowissenschaft versucht deswegen, möglichst genau zu klären, welche molekularen Prozesse letztlich den Zelltod bei degenerativen Erkrankungen verursachen. Das könnte helfen, die Krankheit früh zu diagnostizieren - und eine frühe Diagnose wiederum ist eine Voraussetzung für präventive Behandlungen, die das Absterben der Nervenzellen künftig möglicherweise verhindern könnten.
Aber: Alzheimer ist bis heute nicht heilbar, es gibt auch keine wirksame Prävention, auch wenn wir inzwischen wissen, dass zum Beispiel Menschen, die sich körperlich und geistig nicht betätigen, offenbar ein höheres Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken. Leider ist das so: Die Ursachen von Demenz sind noch immer so wenig bekannt, dass eine effiziente Behandlung nicht möglich ist. Hier müssen wir schneller als bisher voran kommen. Die Voraussetzungen dafür haben wir geschaffen.

Frage: Was tut die Bundesregierung?

Schavan: Vor drei Jahren haben wir das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen gegründet, kurz DZNE. Es ist ein Leuchtturm, der die deutsche Forschung auf diesem Gebiet bündelt und verstärkt. Forscher der unterschiedlichsten Disziplinen arbeiten unter dem Dach der Helmholtz-Gemeinschaft zusammen. Das DZNE ist in Bonn angesiedelt, hat aber mehrere Außenstellen und arbeitet eng mit Hochschulen und Hochschulkliniken zusammen. Das ist europaweit einzigartig: So gezielt wird nirgendwo sonst Demenzforschung betrieben. Es gilt, wirksame Therapien zu entwickeln und neue Möglichkeiten der Früherkennung und Prävention aufzuzeigen. Die Grundlagenforschung liefert wichtige Resultate - die müssen immer wieder rasch auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden. Das DZNE wird übrigens maßgeblich vom Bundesforschungsministerium finanziert, sein jährliches Budget beträgt 66 Millionen Euro. Insgesamt fördert das Ministerium die Demenzforschung mit einem jährlichen Gesamtvolumen von rund 85 Millionen Euro.

Frage: Woran wird konkret geforscht? Haben Sie Beispiele?

Schavan: Ja natürlich. Man muss wissen: Von der Entwicklung eines neuen Wirkstoffs bis hin zum fertigen Medikament vergehen in der Regel zehn bis zwölf Jahre. Und das heißt dann noch lange nicht, dass dieses neue Medikament dann auch wirkt: Viele Wirkstoffe werden getestet und als geeignet empfunden, in klinischen Studien mit den Patienten erweisen sie sich dann aber leider als nicht wirksam. Das DZNE hat darum ein Verfahren entwickelt, mit dem Wirkstoffe gegen Alzheimer besonders effektiv erprobt werden können. Es geht um neue Methoden der Medikamentenentwicklung. Ein anderes Beispiel: Neurologen untersuchen, wie sich das Gehirn von Alzheimer-Patienten verändert, im Fokus haben sie dabei den sogenannten Lipidstoffwechsel. So hoffen sie, die Krankheit frühzeitig erkennen zu können. In einem anderen Forschungsansatz geht es um einen Farbstoff der Flechte Roccella tinctoria, der offenbar die schädlichen Alzheimer-Ablagerungen im Gehirn unschädlich machen kann - bislang allerdings nur in Zellkulturexperimenten.
Demenzforschung ist sehr vielfältig. Es braucht nicht nur biomedizinische Forschung sondern wir stellen uns auch die Frage: Wie kann ein leistungsfähiges Versorgungssystem für immer mehr chronisch Kranke Menschen organisiert werden?

Frage: Die Pflege von Demenzkranken erfordert besonders viel Können und Hingabe. Kann die Forschung auch dazu etwas beitragen?

Schavan: Sicher. Demenzerkrankungen sind eine drängende gesellschaftliche Herausforderung. Viele von uns haben Kranke in ihrer Familie, im Freundes- oder Bekanntenkreis. Wir müssen dafür sorgen, dass die sehr gute Demenzforschung in Deutschland den Patienten, aber auch ihren Angehörigen und den professionellen Pflegern schnell zugutekommt. Auch die Pflege kann besser werden. So können viele Kranke ihre Wünsche und Gefühle nicht mehr richtig ausdrücken. Sie kommunizieren kaum mehr über die Sprache, dafür werden für sie Blickkontakt, Mimik oder Berührung umso wichtiger. Hier setzen neue Methoden in der Pflege an, deren Entwicklung vom Bundesforschungsministerium finanziell unterstützt werden. Etwa die sogenannte "Basale Stimulation", die die Sinne der Patienten aktiviert: Wie genau lässt sich zum Beispiel durch den Geruch eines Lieblingsgerichts der Appetit anregen. Egal ob professionelle Pflegekräfte oder pflegende Angehörige: Nur wer um die völlig andere Welt weiß, in der demente Menschen Leben, kann richtig mit ihnen umgehen.

Quelle Bundesministerium für Bildung und Forschung

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