Samstag, 31. Juli 2010

Was bedeutet wirklich ein Kind "zu verwöhnen"?

Kindern Kleinigkeiten abzunehmen geschieht häufig aus Zeitdruck oder Bequemlichkeit heraus. Eltern tun ihrem Nachwuchs damit aber keinen Gefallen. Denn Dinge selbst zu übernehmen, stärkt das Vertrauen der Kleinen in ihre eigenen Fähigkeiten.

"Komm, ich mache dir schnell noch die Jacke zu", sagt die Mutter zärtlich im Flur zu Nele - ohne, dass die Fünfährige auch nur einen Versuch unternommen hätte, den Reißverschluss selbst zu schließen. Eine Alltagsszene - im Graubereich zwischen liebevoller Zuwendung und Verwöhnung. Doch wo hört das eine auf, wo fängt das andere an? Und geht es beim Verwöhnen nicht eigentlich nur um das bedingungslose Erfüllen von Wünschen? Keineswegs, sagen Erziehungsexperten, und raten dringend dazu, Kinder eigene Erfahrungen machen zu lassen.


Geht es um Verwöhnung, drängt sich zunächst ein Gedanke auf: Kinder werden überhäuft mit Geschenken, zu Weihnachten oder zum Geburtstag oder eben auch einfach nur zwischendurch. IPod, Markenjeans und trendy Tasche - was andere in der Schulklasse haben, muss der eigene Nachwuchs auch bekommen. Jeder Wunsch wird erfüllt, manchmal sogar, bevor er geäußert wurde.

Doch das Materielle ist nur ein Aspekt. "Von Verwöhnen kann man auch sprechen, wenn Eltern zu viel behüten und ihren Kindern nichts zutrauen", sagt Frauke Worbs vom Kreisverband Stormarn (Schleswig-Holstein) des Deutschen Kinderschutzbundes. Der Psychotherapeut und Erziehungsberater Jürgen Detering in Bremervörde definiert weiter: "Kinder werden auch dann verwöhnt, wenn sie Lebensaufgaben, die sie eigentlich lösen könnten, nicht bewältigen müssen." Wenn Mama und Papa ihnen das Leben also so organisieren, dass sie selbst wenig zum Gelingen des Alltags beitragen müssen.

Genau das aber passiert nach Ansicht von Erziehungsexperten häufig. "Kindern wird heute zu viel abgenommen", sagt Trudi Kühn in Düsseldorf, Mitherausgeberin und Trainerin des STEP-Elternprogramms. Aus ihren Kursen weiß sie, dass sich fast alle Eltern selbstständige, verantwortungsvolle und selbstbewusste Kinder wünschen. "Mütter und Väter sollten sich in ihrem Alltag deshalb immer fragen: Erreiche ich diese Ziele mit meiner Erziehung?" So sei es eben nicht förderlich, dem Kind immer die vergessene Sporttasche hinterherzutragen.

Der Alltag ist voll von Situationen, die Eltern dazu verleiten, Dinge "mal schnell zu regeln". Gerade Momente unter hohem Zeitdruck - zum Beispiel morgens - stellen eine häufige Falle dar: den Pullover überziehen, das Brot schmieren, die Schuhe schnüren. "Wir müssen den Kindern mehr Zeit lassen, Dinge selber zu machen und sie gegebenenfalls auch langsamer zu machen", rät Detering.

Neben hohem Zeitdruck können aber auch Bequemlichkeit, ein schlechtes Gewissen oder das Bedürfnis, gebraucht zu werden, Gründe für übermäßiges Verwöhnen der Kinder sein. Und auch die elterliche Unfähigkeit, Konflikte auszutragen, spielt oft eine Rolle. Indem Mutter oder Vater nervenaufreibenden Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen, verwöhnen sie sich in gewisser Weise selbst, sagt Detering.

Die möglichen Folgen für die Kinder halten die Erziehungsfachleute für bedenklich. "Verwöhnung ist entwicklungsfeindlich, weil sie Kinder nicht trainiert, für den Alltag und das Leben wichtige Dinge zu erlernen", sagt der Therapeut Detering. Damit werde eine Chance vertan, dass sich Kinder Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen aneignen. "Denken Sie daran, wie stolz kleine Kinder sind, wenn sie etwas selbst machen. Diesen Stolz gilt es zu wecken und zu fördern", sagt er. Denn nur so bekommt ein Kind einen Eindruck von seinen eigenen Kräften und Fähigkeiten.

Für Eltern bedeutet dies aber, dass sie loslassen und ihren Kindern die Möglichkeit geben müssen, aus Konsequenzen zu lernen.

Trudi Kühn beobachtet immer wieder eine typische Reaktion von Eltern, etwa wenn das Kind ein Glas umgestoßen hat: "Sie schimpfen, wischen den Saft dann aber selber auf." Besser sei es, den Nachwuchs zu bitten, sich einen Lappen zu holen und das Unglück zu beseitigen. "So lernen Kinder gleichzeitig, dass sie einen Fehler auch wieder beheben können." Damit erlebten sich Kinder als selbstwirksam - und das wiederum stärke das Selbstbewusstsein.

Nicht genug verwöhnen kann man Kinder allerdings mit Zeit und emotionaler Zuwendung, sagt Frauke Worbs. Die Sozialpädagogin weiß aus Gesprächen, dass die Diskussionen über das Thema "Verwöhnen" viele Eltern auch verunsichern. Worbs empfiehlt Eltern deshalb, sich von dem bedrohlichen Gedanken "...sonst wird mein Kind unselbständig" ein wenig zu lösen. "Eltern sollten sich darüber klar werden, was ihnen in der Erziehung wichtig ist und auf dieser Basis Entscheidungen treffen", rät sie. Das gebe ihnen Kraft, Regeln durchzusetzen, und den Kindern Sicherheit und Kontinuität. Und die wiederum sind eine gute Grundlage, um selbstständig und selbstbewusst zu handeln.


Quelle Gesundheitsportal Apotheken

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für dieses Posting, war es sehr hilfreich und erzählte viel

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