Dienstag, 14. April 2009

Wie Nervenzellen ihre eigene Erregbarkeit steuern

(c)Dr. Stefan Remy / Universität Bonn 25.03.2009 Neue Erkenntnisse zur Signalverarbeitung im Gehirn

Forscher der Universität Bonn haben einen neuen Mechanismus aufgeklärt, der die Erregbarkeit von Nervenzellen im Gehirn steuert. Einerseits können die Neuronen so bereits auf kleine Signale ansprechen. Andererseits verhindert der Mechanismus, dass Nervenzellen zu häufig hintereinander feuern. Die Studie erscheint am 26. März in der Zeitschrift Neuron, dem wohl renommiertesten Fachorgan auf diesem Gebiet.


Nervenzellen sind extrem kommunikativ: Jedes einzelne Neuron steht mit bis zu hunderttausend Geschwisterzellen in Kontakt. Über astartig verzweigte Ausläufer, die Dendriten, empfängt es von ihnen Informationen. Aus diesem Input generiert es dann gegebenenfalls ein einziges Ausgangssignal, das Aktionspotenzial. Neurowissenschaftler sagen auch: Die Nervenzelle „feuert“. Dieser Feuerpuls wird über eine Art Kabel, das Axon, an andere Neurone verteilt.

Nervenzellen feuern aber nur dann, wenn der Input stimmt. Dazu können sie beispielsweise die Eingangssignale aufsummieren. Wenn das Ergebnis eine bestimmte Schwelle überschreitet, erzeugt die Zelle ein Aktionspotenzial. Man bezeichnet diese Art der Verarbeitung auch als linear: Jedes einzelne Eingangssignal trägt sein kleines Scherflein dazu bei, dass ein Feuerpuls entsteht. Es braucht also gewissermaßen viel „Überzeugungsarbeit“, um das Neuron zu stimulieren.

Seit gut 30 Jahren weiß man aber, dass sich dieser mühselige Weg auch abkürzen lässt. Unter bestimmten Umständen reagieren Dendriten nämlich nichtlinear: Sie generieren dann aus wenigen kleinen Eingangssignalen einen großen Gesamtpuls, einen Spike. Ein einziger Spike reicht in der Regel aus, um die Nervenzelle zum Feuern zu bringen. Bislang kannte man zwei Bedingungen, unter denen Dendriten den nichtlinearen Weg einschlagen: „Zum Einen müssen die Eingangssignale nahezu gleichzeitig erfolgen“, erklärt der Bonner Neurowissenschaftler Dr. Stefan Remy. „Außerdem müssen die Kontaktstellen, über die diese Signale an das Neuron übermittelt werden, nahe beieinander liegen. Anders ausgedrückt: Wenn man sich die Gesamtheit aller Dendriten als eine Art Baum vorstellt, müssen die Signale alle über denselben Ast einlaufen, um einen Spike erzeugen zu können.“

The Winner Takes It All

Remy und seine Kollegen von der Klinik für Epileptologie haben nun eine dritte Voraussetzung für den nichtlinearen Weg gefunden: Dendriten können demnach nur dann einen Spike erzeugen, wenn die Zelle zuvor eine Weile nicht gefeuert hat. „Wir nennen dieses Prinzip ‚The Winner Takes It All’“, sagt der Bonner Forscher. „Wenn ein Dendritenast durch einen Spike ein Aktionspotenzial ausgelöst hat, können andere Äste für ein bis zwei Sekunden keine Spikes mehr erzeugen – auch wenn die sonstigen Voraussetzungen stimmen.“ Mit dieser Methode scheint das Gehirn eine Übererregung zu verhindern. Funktioniert sie nicht, sind wahrscheinlich gravierende Fehlfunktionen die Folge. „So ist es denkbar, dass bei manchen Formen der Epilepsie dieser Mechanismus nicht greift“, spekuliert Professor Dr. Heinz Beck vom Labor für experimentelle Epileptologie. „Das könnte der Grund für die unkontrollierte Erregung der Nervenzellen sein, die Ursache der Anfälle ist.“

Zusammenhang mit Epilepsie und Alzheimer?

Die Forscher wollen diese Hypothese nun überprüfen. Dabei profitieren sie von der Tatsache, dass das Universitätsklinikum Bonn zu den größten epilepsiechirurgischen Zentren weltweit zählt. Dort entfernt man bei Menschen mit schwersten Epilepsien den Anfallsherd operativ. Auf das entnommene Gewebe möchten die Bonner Neurowissenschaftler zurückgreifen.

Und auch bei der Alzheimer-Erkrankung könnte die eingebaute „Feuer-Bremse“ in den Nervenzellen gestört sein. „Im Gehirn von Patienten finden sich Ablagerungen von Proteinen“, erläutert Dr. Stefan Remy. „Man weiß, dass die Nervenzellen in der Umgebung dieser Ablagerungen zu stark erregbar sind. Das daraus resultierende Dauerfeuer kann dann eventuell das fein abgestimmte Zusammenspiel der Neuronen mit ihren Netzwerken aus dem Gleichgewicht bringen. Möglicherweise ist das ein Grund für die schweren Gedächtnisausfälle, unter denen die Patienten leiden.“

Quelle Universität Bonn

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