Samstag, 11. Oktober 2008

Plötzlicher Säuglingstod bleibt ein Aufklärungsproblem

Bitte nicht wundern. Hier ein schon älterer Artikel, der aber inhaltlich immer noch aktuell ist. Ich stelle ihn hier begleitend zu einem aktuellen Artikel ein, ebenfalls zum Thema "Plötzlicher Säuglinstod"
14.06.06 - Zwar gibt es neue Erkenntnisse zur möglichen Pathogenese des SIDS doch um ihm vorzubeugen bleibt Schlafen in Rückenlage, im Schlafsack und in rauchfreier Umgebung das A und O.


In der Presse war in den letzten Wochen viel über den Plötzlichen Säuglingstod zu lesen: Ökomatratzen, auf denen sich abgeatmetes Kohlendioxid staut, mögliche Zusammenhänge mit molekularen Störungen der zentralen Steuerungsmechanismen - was soll der Kinderarzt verunsicherten Eltern raten? Prof. Dr. Karl Bentele, Hamburg, gibt
im Gespräch mit ÄP-Pädiatrie einen Überblick über den aktuellen Stand der Erkenntnisse bei Ursachenforschung und Prävention.

Über die Ursachen des Plötzlichen Säuglingstodes wird viel spekuliert - gibt es hier neue Erkenntnisse?
Zunächst einmal sollte man unterscheiden: Es wird immer wieder gesagt, der Plötzliche Säuglingstod sei die häufigste Todesursache im ersten Lebensjahr. Das ist so nicht korrekt: Er ist die häufigste Todesart - nach der dahinter liegenden Ursache muss man im Einzelfall sorgfältig fahnden. Typisch ist das Alter der Kinder und dass der Tod aus dem Schlaf heraus bei scheinbar völliger Gesundheit auftritt. Dabei muss man weiter differenzieren zwischen erklärbaren, teilweise geklärten und nicht erklärbaren Todesfällen. Die nicht erklärbaren Todesfälle zählen zum "Sudden Infant Death Syndrome" (SIDS) im engeren Sinne.

In der Literatur wird der Anteil dieser Todesfälle, für die sich überhaupt keine Ursache eruieren lässt, mit zwischen 60 und 80 Prozent der plötzlich im Schlaf verstorbenen Kinder beziffert. Doch diese Zahlen schwanken stark, je nachdem, wie genau die Anamnese eruiert und wie akribisch die Obduktion durchgeführt wird. Mögliche Todesursachen für einen solchen "plötzlichen" Tod sind beispielsweise Myokarditiden, akute schwere Pneumonien, Herzrhythmusstörungen mit Long-QT-Syndrom, nicht erkannte Fett- oder mitochondriale Energiestoffwechselstörungen - hier wird noch viel geforscht und möglicherweise entdeckt man da noch einiges mehr. Befasst man sich länger mit dem Thema, dann drängt sich doch der Verdacht auf, dass das "reine" SIDS aus wirklich völliger Gesundheit eher selten vorkommt.

Inwiefern spielen Transmitter-prozesse im ZNS hier eine Rolle?
Verdächtigt werden da Störungen in einem Serotonin-Transportersystem. Das passt auch ganz gut in das theoretische Konzept - denn man fragt sich schon lange, woran es liegt, dass die Kinder, wenn sie im Schlaf in eine akute Krise geraten, nicht einfach aufwachen. Eine solche Aufwachreaktion wird vom autonomen Nervensystem initiiert. Insofern wäre es durchaus plausibel, wenn hier eine genetisch bedingte zentrale Transmitterstörung ursächlich wäre. Mit der Arousal-Reaktion würden die vom Hirnstamm gesteuerten Funktionen - wie Muskeltonuserhöhung, Kopfdrehung, tiefes Einatmen - in Gang kommen, die bei SIDS-Kindern offenbar versagt haben.

Doch man darf das nicht zu eindimensional sehen; es sind sicherlich viele Faktoren beteiligt. In dem Alter, in dem die Kinder am Plötzlichen Säuglingstod sterben, unterliegt das autonome Nervensystem noch der Reifung. Wird die intrauterine Entwicklung der zentralen Kontrollfunktionen gestört - beispielsweise durch Rauchen der Mutter in der Schwangerschaft - liegt die Vorstellung nahe, dass auch die autonome Kontrolle der Vitalfunktionen postnatal über die altersabhängige Unreife hinaus noch defizitär sein kann.

Es gibt also durchaus Risikofaktoren. Welche Kinder sollte man verstärkt beobachten?
Zunächst sind natürlich stets solche Kinder besonders gefährdet, in deren Familie schon einmal ein Kind "plötzlich" gestorben ist. In dem Fall muss man immer sehr genau schauen, ob es bei diesem Indexfall nicht doch irgendwelche Anzeichen einer zugrunde liegenden Störung gegeben hat - die sich dann bei dem Geschwisterkind wiederholen könnte. Weitere Kinder mit etwas erhöhtem Risiko sind auch kleine Frühgeborene und Kinder, die perinatal Probleme hatten. Doch die Hauptrisikofaktoren sind nach wie vor unbestritten die bekannten drei: Bauchlage, Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft und nach der Geburt in Umgebung des Kindes sowie Überwärmung.

Warum ist die Bauchlage so gefährlich?
Die Kinder sind, wenn sie mit dem Gesicht nach unten auf einem weichen Kissen oder Fell liegen, kaum in der Lage, Schweiß und Wärme abzuführen. Stattdessen müssen sie verstärkt atmen - verbrauchen also mehr Sauerstoff durch Atemarbeit und produzieren mehr Kohlendioxid. Dieses Kohlendioxid ist schwerer als Luft. Es sammelt sich in der Kuhle im Kissen und wird vermehrt rückgeatmet. Außerdem können die oberen Atemwege obstruiert werden. Darüber hinaus weiß man, dass Kinder in Bauchlage per se schlechter wach werden. Und um ihren Kopf aus der Bauchlage zu heben und zur Seite zu drehen, wäre eine Aktivierung des Muskeltonus durch Aufwachen nötig.

Was spricht gegen die Seitenlage zum Schlafen?
Im Grunde nichts - doch es ist erwiesen, dass rund ein Viertel der Kinder, die auf die Seite gelegt werden, im Laufe der Nacht auf den Bauch rollen und so mit dem Gesicht nach unten geraten können. Daher sollte man Eltern grundsätzlich dazu raten, ihre Babys auf dem Rücken zum Schlafen zu legen - es sei denn, dass schwerwiegende gesundheitliche Faktoren dagegen sprechen.

Besteht denn für die Kinder in Rückenlage keine erhöhte Aspirationsgefahr?
Nein, im Gegenteil. Man hat festgestellt, dass die Kinder, die in Bauchlage gestorben waren, sogar wesentlich häufiger aspiriert hatten als Kinder, die in Rückenlage gestorben sind. Dennoch sind auch diese Kinder wohl nicht an der Aspiration gestorben - man nimmt heute eher an, dass die Aspiration keinen kausalen Charakter besitzt, sondern während des Sterbens stattfindet.

Ähnlich scheint es bei dem früher oft als ursächlich verdächtigten gastroösophagealen Reflux keinen wirklichen Kausalzusammenhang zu
geben. Wenn ein solcher pathologischer Reflux tatsächlich aufgetreten ist, ist dies wohl eher auch als Ausdruck eines noch nicht voll funktionsfähigen autonomen Nervensystems zu interpretieren - falls Aspirationen infolge von Fehlbildungen ausgeschlossen sind.

Neue US-amerikanische Empfehlungen raten explizit dazu, einen Schnuller zu verwenden ...
Ja. Es scheint so zu sein, dass der Schnuller dazu beiträgt, den Tonus der Schlund- und Zungenmuskulatur zu erhöhen und so hilft, die oberen Atemwege besser offen zu halten. Andererseits muss man bedenken, dass einige dieser Studien durch Schnullerfirmen gesponsert worden sind. Hinzu kommt die Sorge mancher Zahnärzte, dass es zu Kieferdeformationen und anderen Komplikationen kommen kann - daher empfehlen wir den Schnuller bisher nicht so ausdrücklich. Schließlich verlieren viele Babys den Schnuller bald nach dem Einschlafen.

Worauf sollte bei der Matratze geachtet werden?
Natürlich sollte sie nicht zu weich sein - aber wichtig ist auch, dass das Material ausreichend Gasaustausch ermöglicht. Eine Forschergruppe um Prof. Paditz in Dresden hat jüngst Vergleichsuntersuchungen durchgeführt, bei denen unterschiedliche
Matratzenmaterialien auf ihre CO2-Durchlässigkeit und ihre Temperaturaufnahme hin getestet wurden. Besonders schlecht abgeschnitten hat dabei eine Öko-Kokosmatratze, die sich als kaum gasdurchlässig und Wärmestau-begünstigend erwiesen hat. Aus dem gleichen Grund hat auch das in den vergangenen Jahren so beliebte Lammfell im Babybettchen nichts zu suchen. Empfehlenswerter sind Matratzen mit Poren- oder Wabenstruktur. Auch der Boden des Babybettchens sollte Luftzirkulation ermöglichen.

Alles in allem bleibt also ein Aufklärungsproblem
Ja, und da ist die Frage, wie man am besten an die Eltern herankommt. Selbstverständlich gibt es hervorragende Faltblätter, die hoffentlich in allen Frauenkliniken und Kinderarztpraxen ausliegen - aber die erreichen eben nicht alle. Und es genügt auch nicht, darauf zu hoffen, dass die Eltern das schon lesen werden. Man darf nicht lockerlassen, die Eltern in persönlichen Gesprächen aufzuklären.

Stichwort Heim-Monitore: Können sie zur Verhütung eines SIDS beitragen?
Aufgrund der Erfahrungen, die wir mit früher gebräuchlichen Monitoren gemacht haben - die sich auch mit den weltweiten Ergebnissen zu dieser Frage decken - muss man sagen, dass heute noch zu viele dieser Monitore verschrieben werden. Die Zahl der Kindstode hat darunter nicht abgenommen. Daher sollte ein neuerer Monitor mit verbesserter Technik wirklich nur im Einzelfall zum Einsatz kommen.

Wo sehen Sie eine Indikation?
Man darf nicht erwarten, dass man mit einem Heim-Monitor einen Plötzlichen Säuglingstod sicher verhindern könnte. Der Einsatz kann jedoch im Einzelfall der Diagnostik dienen. In diesem Zusammenhang sind Kinder zu nennen, die bereits ein- oder zweimal einen lebensbedrohlichen Zustand erlitten haben - heute spricht man von "anscheinend lebensbedrohlichen Ereignissen" oder ALTE. Mit jeder Wiederholung eines solchen Ereignisses wird es wahrscheinlicher, dass dahinter eine chronische Erkrankung steckt, zum Beispiel eine Säuglings-Epilepsie oder eine der anfangs genannten Stoffwechselstörungen mit intermittierender oder Infekt-assoziierter Symptomatik in Form eines ALTE. Um diese für weitere Diagnostik und Behandlung zu identifizieren, kann ein Heim-Monitor tatsächlich hilfreich sein.


ÄP SERVICE

www.sids.de ist die Homepage der Gemeinsamen Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod e. V. (GEPS). Hier gibt es eine umfangreiche Liste mit Informationsmaterial und Elternbroschüren zur Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes sowie zur Unterstützung betroffener Familien. Sie können direkt online oder per Post bestellt werden unter:
GEPS Deutschland e. V., Bundesgeschäftsstelle, Simone Beardi, Fallingbosteler Str. 20,
30625 Hannover, Tel.: (05 11) 8 38 62 02, Fax: (05 11) 8 38 62 02, E-Mail: geps-deutschland@t-online.de


ÄP HINTERGRUND

Nach wie vor ist er bei Säuglingen die Todesursache Nr. 1: der Plötzliche Kindstod. Doch das Risiko lässt sich durch ein paar einfache Maßnahmen deutlich senken:

Acht Regeln für sicheren Babyschlaf

Legen Sie Ihr Baby vom ersten Tag an ausschließlich auf den Rücken zum Schlafen.

Das Baby sollte zwar im Elternschlaf-zimmer nächtigen, aber dort in seinem
eigenen Bettchen.

Die Matratze sollte so fest sein, dass das Baby nicht darin einsinken kann.

Babyschlafsäcke sind sicherer als Decken, weil das Kind sie weder wegstrampeln noch über seinen Kopf ziehen kann.

Lammfelle und Kuscheltiere gehören nicht ins Babybett.

Die Temperatur im Schlafzimmer sollte auch im Winter nicht über 18 Grad
Celsius liegen. Wenn das Baby im Nacken schwitzt, ist ihm zu warm - die Haut sollte am Nacken und zwischen den Schulterblättern warm, aber trocken sein.

In der Umgebung des Kindes - und erst recht im Schlafzimmer - nicht rauchen.

Stillen stärkt die natürlichen Abwehrkräfte Ihres Babys und reduziert auch das Risiko für den Plötzlichen Säuglingstod.


von Dr. Daniela Kandels

Quelle aerztlichepraxis.de

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